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Foto: SPD-OV Misburg-Anderten

15. Juli 2006: 100-Jahrfeier SPD-Misburg

Am 15. Juli 2006 feierte der SPD Ortsverein Misburg sein 100jähriges Bestehen.

Der Bundestagsabgeordnete Gerd Andres hielt zu diesem Anlass nachfolgende Rede:

Rede des SPD-Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Gerd Andres

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Bernd Strauch,
sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister, lieber Knut Fuljahn,
lieber Axel Plaue,
lieber Friedel Ahlers,
liebe Genossinnen und Genossen,

100 Jahre SPD-Ortsverein Misburg - darin spiegeln sich natürlich auch 100 Jahre Stadt- und Stadtteilgeschichte - mit all ihren Höhen und Tiefen. Gegründet wurde der Ortsverein noch im Kaiserreich, als es zum Beispiel darum ging, gegen Privilegien der oberen Gesellschaftsschichten anzukämpfen und die eigenen harten Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Eine warme Wohnung, Arbeitsschutz sowie unterhaltsichernde Einkommen waren für zahllose Arbeiterfamilien ein unerreichbarer Traum.

Die Genossinnen und Genossen jener Tage gingen mit ihrem politischen Engagement auch ein persönliches Risiko ein: Zwar war im Jahr 1906 das "Sozialistengesetz" Bismarcks längst außer Kraft gesetzt, dennoch bedeutete das klare Bekenntnis zur Sozialdemokratie das Misstrauen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates zu erwecken. Der Verlust des Arbeitsplatzes und Versammlungsverbote waren alltäglich. Sogenannte "schwarze Listen", die die Namen von SPD-Mitgliedern enthielten, kursierten auch hier in Misburg. Aufgrund solcher Umstände bezahlte der Gründungsvorsitzende der Misburger SPD, Ernst Stallmann, sein politisches Engagement mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes. Auch eine Wiederbeschäftigung in der Region blieb ihm verwehrt. Solche Ereignisse verdeutlichen die schwierige Situation, in der sich aktive SPD-Mitglieder um die Jahrhundertwende befanden. Sie haben damals für etwas gekämpft, was uns heute als selbstverständliche Errungenschaft erscheint: das Recht auf politische Meinungsfreiheit und vor allem auf freie Meinungsäußerung.

Der Kampf um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen war gerade für Misburg von besonderer Bedeutung, war es von der industriellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts doch besonders geprägt. Insbesondere die Zementindustrie und später die Raffinerie beschäftigten zahlreiche Arbeiter, die das Bild der damals eigenständigen Gemeinde prägten. So stand das Streben nach Freiheit, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit hier stets im Vordergrund des politischen Engagements, um sich gegen die Willkür der industriellen und adligen Obrigkeit zu verteidigen.

Als Sozialdemokraten waren die Misburger Genossinnen und Genossen überzeugte Gegner der Nationalsozialisten. Nach der Machtergreifung Hitlers begannen die Nationalsozialisten, Parteien und freie Gewerkschaften zu zerschlagen und alles, wofür sich Sozialdemokraten bis dahin eingesetzt haben, zu zerstören. Viele Misburger Genossen haben so aktiven Widerstand geleistet. Auch Gustav Bratke, Gemeindevorsteher in Misburg, wurde verhaftet und über mehrere Monate festgehalten. Seine frühzeitige Freilassung ist im besonderen Maße auf den starken Rückhalt des SPD-Politikers in der Misburger Bevölkerung zurückzuführen. Für mich ein deutliches Zeichen dafür, wie tief die Sozialdemokratie mit Misburg verbunden war und ist. Seine persönliche Leistung ermöglichte es, dass Gustav Bratke 1945 zum ersten Oberbürgermeister von Hannover nach dem Krieg ernannt wurde.

Unter den schwierigen Bedingungen der Zeit zwischen 1933 und 1945 standen Soziademokraten in Misburg ein für Demokratie und Freiheit, für soziale Gerechtigkeit, für den Schutz des einzelnen. Diese gemeinsamen Zielsetzungen ermöglichten es, dass noch 1945, in der Stunde Null, Genossinnen und Genossen sich zusammenfanden, um mit dem Wiederaufbau ihrer im Krieg völlig zerstörten Gemeinde zu beginnen. So ist die Geschichte der wirtschaftlichen und sozialen Festigung in Misburg untrennbar mit sozialdemokratischem Engagement verbunden. Hierin stellt Misburg für mich einen besonderen Teil meines Wahlkreises dar.

Hierzu gehören auch einige besondere Menschen, die ich an dieser Stelle erwähnen möchte. Zunächst Harry Pott: Als junger Sozialdemokrat leistete aktiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten und war maßgeblich an der Gestaltung Misburgs in der Nachkriegszeit beteiligt. Er war 1948 bis 1952 und von 1956 bis 1967 Misburger Bürgermeister und weiter bis 1976 kommunalpoltisch aktiv.

Willi Blume gehört auch in die Reihe wichtiger Persönlichkeiten, die die Kommunalpolitik in der Nachkriegszeit maßgeblich mitgestaltet haben. Er war in Misburg von 1958 bis in das Jahr 1974 als Gemeindedirektor beziehungsweise Stadtdirektor tätig.

Für ihr hervorragendes Engagement wurden Harry Pott und Willi Blume mit dem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Ein weiterer - nicht wegzudenkender - Mitstreiter des Ortsvereins ist Friedel Ahlers. Seit 1981 in kommunalpolitischer Verantwortung war er von 1996 bis 2003 OV-Vorsitzender. Er ist IG BCE-Kollege, ich kenne seit langer Zeit und schätze ihn für seine politische Arbeit sehr. So freut es mich besonders, dass er heute dabei ist. Friedel ist übrigens seit drei Jahren erster und einziger Ehrenvorsitzender des Ortsvereins Misburg.

Last but not least möchte ich Axel Plaue nennen. Auch ihn kenne ich seit langer Zeit. Über Jahre hinweg haben wir das Büro in der Podbilskistraße als gemeinsames Wahlkreisbüro genutzt. Axel war über 12 Jahre, nämlich von 1978 bis 1990 Ortsvereinsvorsitzender in Misburg. Seit 1986 macht er sich in unserem Sinne im Landtag stark. Zwischen 1999 und 2003 war er Vorsitzender der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag.

Liebe Genossinnen und Genossen,

natürlich haben sich die sozialdemokratischen Ziele im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer wieder verschoben und aktualisiert. Vieles, was vor 100 Jahren noch als Utopie galt (etwa der 8-Stunden-Arbeitstag), ist heute selbstverständlich. Dafür sind neue Ziele dazugekommen (zum Beispiel mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern). Und manche Ziele sind auch - wenngleich in anderer Form - wieder aktuell geworden. Um den grundsätzlichen Zugang zu Versicherungsschutz geht es heute zwar nicht mehr, wohl aber ist die Frage nach der solidarischen Finanzierung der Gesundheitsversorgung wieder auf der Tagesordnung. Die alte Forderung der Sozialdemokratie nach gleichen Rechten und Pflichten im Gesundheitsschutz, ist also keineswegs überholt. Sie findet in der Forderung nach einer Bürgerversicherung ihren Ausdruck.

Was vor 100 Jahren unsere Zielsetzung war, gilt heute nicht weniger: Wir wollen eine Gesellschaft, die den Wert von Solidarität und Mitverantwortung fördert. Der SPD-Ortsverein Misburg handelt nach diesen Vorstellungen. So hat er bis heute einen lebenswerten Stadtteil der Landeshauptstadt Hannover maßgeblich mitgestaltet. Zwar noch immer industriell geprägt, lädt er zum Verweilen und dort Leben ein. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Misburger Meyers Garten als ihr Stadt- und Lebenszentrum auffassen, obwohl sie seit der Gebietsreform im Jahre 1974 zu Hannover gehören. Es ist ein attraktiver Stadtteil und darauf können die Bürgerinnen und Bürger stolz sein.

Liebe Genossinnen und Genossen,

aktuell bleibt vor allem die Idee der Sozialdemokratie, eine politische Heimat für Menschen verschiedener Altersgruppen und Herkunft zu sein. Auch 140 Jahre nach Parteigründung, und 100 Jahre nach der Gründung des Ortsvereins Misburg ist die SPD attraktiv für jeden, für den die Demokratie mit der Frage des sozialen Ausgleichs verbunden ist. Demokratie muss aktiv gelebt werden, damit sie funktioniert. Die demokratische Ordnung lebt von außerordentlicher Geduld im Zuhören und außerordentlicher Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. Politische Teilhabe und sozialer Ausgleich sind gerade heute, unter den Bedingungen der weltweiten Veränderungen drängende Herausforderungen. Sie werden uns in Zukunft dauerhaft begleiten.

Ich wünsche dem SPD-Ortsverein Misburg für den Start in sein zweites Jahrhundert alles Gute.

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

Impressionen von der 100-Jahrfeier des SPD-Ortsverein Misburg:

Foto: SPD-OV Misburg-Anderten
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